Immer häufiger erreichen uns Lehrlingsbewerbungen per Email. So auch dieser Tage wieder die unten stehende Bewerbung.
Ich will Ihnen einmal meine ersten Gedanken schildern, die mir beim Lesen dieser Bewerbung durch den Kopf gingen:
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Nach der Schule ein Jahr als Einzelhandelskaufmann-Azubi „ausgehalten“.
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Seither, in zweieinhalb Jahren, zwei Praktika und vier Monate als Küchenhilfe.
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Keine Zeugnisse dabei, will er nachschicken. Sind noch nicht angekommen.
Ohne abschließend entschieden zu haben, ist mein momentanes Bauchgefühl eher negativ.
Wie würden Sie sich in einem solchen Fall verhalten? Den jungen Mann zum Gespräch einladen oder nicht?
Ergänzung am 28.10.2010:
Entgegen seiner Ankündigung, hat der junge Mann auch nach einer Woche noch kein Zeugnis geschickt.
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Guten Tag Herr Deck,
den Text dieser Bewerbung gibt es hunderttausenfach.
Typischer Standardtext von einem Job-Center oder dem Arbeitsamt dem Arbeitssuchenden (?)vorgetextet.
Da kann ich Ihnen auch einen ganzen Ordner von Exemplaren zukommen lassen.
Da steht genau das drin, was man hören will:
Hohe Leistungsbereitschaft, offenes freundliches Wesen,
und Freude am gestalterischen Arbeiten.
Mein Bauchgefühl und auch schon jahrzehntelange Erfahrung :
Da hat einer vom Amt mal wieder Druck bekommen, und muss einige Bewerbungsversuche nachweisen, damit das Geld nicht gekürzt wird.
Zwar traurig, aber wahr.
Mit freundlichem Gruß
Christian Sander
P.S. Eine Bewerbung ohne vorherigen Koantakt nur per Mail mit unvollständigen Unterlagen ist für mich persönlich die unterste kommunikative Stufe.
Da fehlt es eigentlich immer an dem „Wollen“ und/oder der Erziehung und dem sozialen Umfeld des Bewerbers.
Gleich vorweg: Ich würde dem jungen Mann eine Chance geben und ihn zum Gespräch einladen.
Junge Menschen probieren sich aus. Nach dem Abschluss der Hauptschule sind sie noch immer in der Identitätsfindung. Dass man sich da vielleicht im Ausbildungsberuf vergreift, kann vorkommen. Immerhin hat er dann die Notbremse gezogen. Das halbe Jahr zwischen Abbruch der Ausbildung und dem ersten Praktikum kann als Sinnfindung eingehen. Er wusste einfach nicht, was er tun solle. Immerhin hat er sich dann aufgerafft und ein Praktikum gemacht. Und es war kein zweiwöchtiges Praktikum sondern ging auch wieder ein halbes Jahr. Direkt im Anschluss daran folgte das zweite Praktikum, welches wieder ein halbes Jahr dauerte.
Danach ist ein Leerlauf. Vielleicht hat er auch kurz vorm Weihnachtsgeschäft kein weiteres Praktikum mehr gefunden, orientierte sich selbst weiter und fing dann im Januar direkt als Küchenhilfe an.
Das mit den Zeugnissen ist natürlich nicht optimal.
Dennoch denke ich, dass man das alles nicht sofort so negativ sehen sollte. Gespräch. Je nachdem zwei, vier Wochen Praktikum, sehen wir er sich macht und dann geht’s weiter. Oder auch nicht.
Also ICH würde ihn mir anschauen, trotz der etwas unschönen „Brüche“ im Lebenslauf. Aber vielleicht hat er ja wirklich gemerkt, dass er für das kaufmännische nicht geeignet ist, und hat die Notbremse rechtzeitig gezogen.
Ich würde aber auf jeden Fall vorab einen Telefontermin mit dem jungen Mann vereinbaren. Da merkt man sehr schnell, ob er sich pünktlich meldet, wie er sich artikuliert und aus welcher Umgebung (Nebengeräusche) er anruft. Ich praktiziere diese Vorgehensweise sehr mehreren Jahren mit sehr guten Erfahrungen. Und es sind max. 15 – 20 Minuten, die beide Seiten investieren.
Würde mich interessieren, wie die Sache „ausgeht“.
Viel Erfolg und eine geschickte Entscheidung !!!
@all
Vielen Dank für Ihre ausführlichen Kommentare.
Persönlich neige ich der Auffassung des Kollegen Sanders zu. Das ist eine 08/15 Bewerbung. Warum?
In den letzten ca. 35 Jahren habe ich bestimmt viele tausende von Bewerbungen gesehen, gelesen und zahllose Bewerbungsgespräche geführt.
Ausgebildet habe ich in dieser Zeit ca. 200 Lehrlinge. Da bekommt man ganz automatisch die notwendige Erfahrung und natürlich, daraus resultierend, auch ein Bauchgefühl.
Außerdem etwas ganz pragmatisches. Wir erhalten jährlich ca. 50 Bewerbungen. Mit allen Bewerbern kann und will ich nicht telefonieren. Ebenso wenig können alle Bewerber ein Praktikum machen. Das geht schon aus Kapazitäts- und organisatorischen Gründen nicht.
Die Bewerbungen werden gesammelt und nach „Aktenlage“ telefonieren wir kurz mit ca. 8 – 10 Bewerbern, die danach, fast alle, zum Bewerbungsgespräch eingeladen werden.
Und aktuell ist diese Bewerbung die einzige. Die Bewerbungen für das nächste Lehrjahr werden Anfang 2011 eintrudeln. Erst danach werde ich entscheiden, auch über die hier in Rede stehende Bewerbung.
Und ich kann Ihnen versprechen, bei den zu erwartenden Bewerbungen werden eine Vielzahl von (hoffentlich)wesentlich besseren und qualifizierteren Bewerbungen dabei sein. Vielleicht kommt dieser junge Mann danach nicht einnmal mehr zu einem Vorstellungsgespräch in Frage.
Nur weil der junge Mann sich jetzt schon beworben hat, werde ich nicht JETZT schon eine Entscheidung treffen, weder so noch so, sondern erst im frühen Frühjahr 2011.
So lange wird sich der junge Mann gedulden müssen, was wir ihm auch mitteilen werden. Voraussetzung: Er schickt, wie von ihm angekündigt, zeitnah seine Zeugnisse etc.
Ein kleines Detail noch. Der Bewerber bezieht sich auf eine Stellenanzeige bei http://www.icjobs.de. Dort habe ich keine Stellenanzeige aufgegeben.
Ungewöhnlich auch die Emailadresse, die er für seine bewerbung verwendet hat: firma@optimalerpartner. Das ist mein Franchise-System. malerdeck hat die Emailadresse firma@malerdeck.de.
Mit farbenfrohen und 🙂 Grüßen, Ihr Opti-Maler-Partner,
Werner Deck
Kurze Anmerkung: icjobs.de ist eine Jobsuchmaschine, die also alle Stellenangebotsseiten crawlt und indexiert. Sowas wie Google für Stellenangebote. Da muss man nicht selbst inserieren.
@all
Bis heute – nach über vier Monaten – hat der Bewerber sein Lichtbild und seine Zeugnisse nicht geschickt. Soll ich dem jungen Mann nachlaufen? Sicher nicht!
Mit farbenfrohen und 🙂 Grüßen, Ihr Opti-Maler-Partner,
Werner Deck